Björn Engholm

Björn EngholmBjörn Engholm war Bildungsminister im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt, später Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und SPD-Vorsitzender. Nach seinem Rücktritt vor über 20 Jahren ist er weiterhin als Vortragender und spannender Gesprächspartner gefragt – besonders, wenn es um Bildung und Kultur geht.

„Wir brauchen Visionäre statt Karrieristen“

Du kommst aus dem Norden Deutschlands. Was ist da so typisch für die Leute, würdest du sagen…

Weil wir keine Berge haben, wird meine Heimat Schleswig-Holsteinauch das Land der Horizonte genannt. Der Blick ist weit, und das prägt die Menschen. Außerdem würde ich uns als bescheiden und bodenständig bezeichnen.

Willy Brandt kommt ja aus derselben Stadt wie du, nämlich Lübeck. Wie hast du diesen großen Sozialdemokraten und Europäer in Erinnerung?

Willy und auch sein Nachfolger Helmut Schmidt hatten etwas unverkennbar Hanseatisch-Nordisches. Schmidt war direkter und hat von sich und anderen eine strenge Disziplin verlangt. Willy dagegen war sinnlicher und lebensmunterer, wenn auch ein bisschen distanzierter.

Was konnte man von diesen beiden „Technikern der Macht“lernen?

Willy hatte große Visionen, stets die Welt im Blick. InnenpolitischeKleinarbeit war seine Sache nicht. Da war ihm Schmidt weit voraus.

Was war entscheidend für deinen Einstieg in die Politik?

Als Kind der 50er Jahre wollte ichdie Welt verändern. Angefangen mit unserem Land, das gerechter, fröhlicherund menschlicher werden sollte. In meinem Fall in den Bereichen Bildung und Kultur. Jeder politischen Karriere sollte eine großes Leitthema, ein Ziel, eine Vision zu Grunde liegen – und nicht das Streben nach Macht oder einem Amt.

Eine Machtposition zu erlangen ist das Eine, etwas daraus zu machen das Andere…

Dazu ist es erstens wichtig, seingroßes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Zweitens muss man anderen ein Vorbild sein. Und drittens sollte man sich mit qualifizierten Mitarbeitern und Beratern umgeben.

Apropos großes Ziel: Wie würdest du deines definieren?

Als Absolvent des zweiten Bildungswegesaus einer Lehre heraus, habe ich mir die Öffnung des Bildungswesens zur politischen Lebensaufgabe gemacht. Insbesondere für Arbeiterkinder, Frauen und aus welchem Grund auch immer Benachteiligte. Nach dem Fall der Mauer kam dann die Zusammenführung der Staaten rund um das Mare Baltikum, dem Ostseeraum, zu einer Art Neuhanseals zweites großes Ziel dazu.

Medien und Politik waren und sind ja untrennbar miteinander verbunden…

Die Kommunikation hat sich gegenüber meiner aktiven Zeit dramatisch verändert. Wir hatten damals kein Internet oder Facebook. Auch gab es viel weniger Kameras und Journalisten. Was sich aber trotz allem nicht geändert hat, sind die zwei wichtigsten Dinge für eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Erstens erstklassiges Auftretenund angemessene Kleidung, schließlich sind Politiker Repräsentanten des Souveräns. Und zweitens eine klare und gewählte Sprache, die die Menschen begreifen.

Verbunden mit Politik sind auch Druck und Belastungen. Wie bist du damit umgegangen?

Ich habe so viel wie möglich delegiert.Wer jeden Tag 16 Stunden schuftet, kann nicht an die Zukunft denken. Außerdem habe ich mir immer Phasen der Muße und Sinnlichkeit gegönnt, beispielsweise einen Theaterbesuch oder eine Flasche guten Wein.

Politik und Wirtschaft: Wo siehst du Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?

Beide sind substantiell für unsere Gesellschaft und beide sind Dienstleister. Die Politik für das Volk und die Wirtschaft für die Konsumenten. Erstere steht allerdings viel mehr unter kritischer Beobachtung, die kaum einen Fehler verzeiht.

Im direkten Umfeld ist die Beobachtung ja zumeist alles andere als kritisch. Woher hast du objektives Feedbackbekommen?

Ich habe mein Umfeld immer dahingehend strukturiert. Wenn Feedback nicht automatisch da ist, muss man dieses organisieren. Menschen in Spitzenpositionen ohne Feedback werden einsam, und Einsamkeit verführt in der Regel zu falschen Entschlüssen.

Frauen und Männer in Spitzenpositionen: Wie ist da deine Wahrnehmung?

Frauen haben es nach wie vor schwerer, weil Führungspositionen auch im Kontext des Denkens und in der Art des Handelns männlich dominiert sind. Dabei hätten wir weibliche Tugenden, wie Empathie oder Konsensfähigkeit, in unserer immer komplexer werdenden Gesellschaft bitter nötig.

Welche Momente würdest du als Durchbrücheauf deinem politischen Weg bezeichnen?

Ad hoc fallen mir zwei Begebenheiten ein: zum einen dass ich frühmorgens im Büro unseres damaligen Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner vom Bildungssprecher zum Arbeitskreisvorsitzenden befördert wurde, das hieß Anerkennung von höchster Stelle!Und zweitens als mich Helmut Schmidt von heute auf morgen zum Staatssekretär gemacht hat.Großzügigedrei Stunden Bedenkzeit inklusive.

Politikerkarrieren enden heutzutage kaum noch im Ruhestand. Wie kann ein guter Übergang ins Arbeitsleben gelingen?

Wenn man nicht das Glück hat, über ein Rückkehrrecht zu verfügen, sollte man sich von vornherein auf die Zeit nach der Politik vorbereiten, beispielsweise Kontakt zum alten Beruf halten. Es bleibt aber immer das Restrisiko,nach einem unerwarteten Ausin ein Loch zu fallen. Das ist so.

WelcheÜberschrift würdest du für deine Karriere wählen?

Was immer du auch tust, tu es mit ganzem Herzen. Der Satz stammt übrigens nicht von mir, sondern von Konfuzius.

Zum Abschluss möchte ich dich noch um ein Resümee ersuchen…

Wir brauchen Visionäre statt Karrieristen. Außerdem gilt es auch in höchsten Ämtern mit beiden Beinen auf dem Boden, Mensch zu bleiben. Dassind neben Verlässlichkeit und Loyalität die wichtigsten Dinge.

Danke für das Gespräch.