Dr. Franz Fischler

Franz FischlerFranz Fischler war Landwirtschaftsminister und nach dem EU-Beitritt Österreichs erster Kommissar im mächtigen Agrarressort in der Europäischen Kommission. Heute ist er Präsident des ‚Europäischen Forums Alpbach. Der heimatverbundene Tiroler und Europäer hat bis heute viel zu sagen.

Ohne Leadership gerät Europa in Gefahr

Sie haben schon im Alter von 14 Jahren Verantwortung auf dem elterlichen Bauernhof tragen müssen. Ein Musterbeispiel für Bodenständigkeit und doch immer über den Tellerrand hinaus geblickt?

Das eine schließt das andere nicht aus. Wenn man in einem Gebirgsland zu Hause ist, muss man bereit sein, den Gipfel zu ersteigen. Dort lernt man Weitblick. Dieses Bild besagt, dass man sich anstrengen muss, wenn man größere Zusammenhänge erfassen möchte. Diese haben mich immer interessiert. Ohne die Fähigkeit, Dinge strategisch anzugehen wäre es mir wohl nie gelungen, im Jahr 2003 die größte Agrarreform durchzuziehen, die es jemals in der Geschichte der EU gegeben hat.

Damals war das Agrarressort eines der mächtigsten in der EU?

Ja, es war aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung. Das Agrarressort hatte das größte Budget in der Union und die Agrarpolitik wurde nach einem speziellen Gesetzgebungsverfahren beschlossen. Beides hat sich mittlerweile verändert.

In Ihrer zweiten Amtsperiode haben Sie die Fischerei dazubekommen, das war schwierig?

Das stimmt. In der Fischerei hat es immer Streit gegeben. Gegen die Fischer waren die Bauern ja noch „Heilige“. Trotzdem ist es mir, als Bürger eines „landlocked Country“, gelungen, auch die erste Reform der Fischereipolitik in der Geschichte der Union zustande zu bringen.

Wie sind Sie in die Politik hineingewachsen?

Das ist über Nacht geschehen. Ich war in Tirol als Direktor der Landwirtschaftskammer tätig. Da hat mich der damalige Parteichef Josef Riegler angerufen und gefragt, ob ich bereit wäre, das Landwirtschaftsministerium zu übernehmen. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Riegler hat mir nur eine Nacht für die Entscheidung gelassen. Das war sehr schwierig, weil man das Ministeramt ja vorher nirgends ausprobieren kann, und daher auch nicht wissen kann, ob man diese Funktion auch ausfüllen kann.

Wie kann man seine Position in einem politischen Amt festigen?

Da gibt es nur ein Kriterium und das heißt Erfolg. Solange Sie Erfolg haben, können Sie ihre Machtfunktion behalten. Wenn Sie keinen Erfolg mehr haben, können Sie noch so klug sein, das wird Ihren Abstieg nicht verhindern. Ohne Erfolg kann sich in der Politik niemand halten.

War Brüssel ein Quantensprung nach dem Ministeramt?

Das kann man wohl behaupten. Man sieht das allein schon an den unterschiedlichen Dimensionen. Österreich hatte damals 7,5 Millionen Einwohner, Europa an die 300 Millionen, das war ja noch vor der Erweiterung. Österreich hatte weniger als 300.000 Landwirte, die EU 7 Millionen.

Wie konnten Sie sich als Neuer in Brüssel durchsetzen?

In der Union braucht man für jede Entscheidung einen Beschluss der Kommission, es gibt keine Einzelkompetenz wie bei einem Minister. Deshalb sind dann auch diejenigen Kommissare stark, die nicht nur in ihrem eigenen Bereich glänzen, sondern sich auch in anderen Portefeuilles auskennen. Deshalb bildet sich da recht bald eine Crew von starken Kommissaren. Und die verbindet eine intensive Kommunikation.

In welchen über den eigenen Wirkungsbereich hinausreichende Feldern waren Sie besonders aktiv?

Da erwähne ich als erstes die Regionalpolitik, wo es ebenfalls um viel Geld gegangen ist. Aus österreichischer Sicht musste ich mich auch für das Transportwesen und die Transitproblematik interessieren. Eingebracht habe ich mich auch in Fragen der Verwaltung und des Personals. Gemeinsam mit Kommissar Neil Kinnock und einigen weiteren Kollegen haben wir im Jahr 2004 eine große administrative Reform auf die Beine gestellt, die heute noch in Kraft ist.

Wie ist es Ihnen gelungen, in Brüssel Wirkung zu erzielen?

In der Verwaltung ist man mehr als sonstwo auf Motivation angewiesen. Wenn Sie als Unternehmer mit einem Abteilungsleiter nicht einverstanden sind, trennen sie sich von ihm. Das ist in der Verwaltung selten oder gar nicht möglich. Deshalb müssen Sie motivieren und dazu gehört Kommunikation. Da geht es nicht nur um Ihre MitarbeiterInnen, sondern vor allem um die Bürger. Sie müssen das Gefühl bekommen, dass sie informiert sind, dass man es gut mit ihnen meint und dass man ihre Anliegen ernst nimmt.

Wo ist es schwieriger Medienarbeit zu machen als Minister oder als Kommissar?

Das ist als Kommissar ungleich schwieriger, weil man es mit sehr verschiedenen Sprachen, kulturellen Hintergründen und Emotionen zu tun hat. Wenn Sie jemandem etwas erzählen wollen, brauchen Sie Bilder. Aber das Bild, das ein Spanier im Kopf hat ist nicht dasselbe das ein Brite oder ein Österreicher sieht. Deshalb habe ich vor jedem Reformvorschlag aus jedem EU-Land einen führenden Beamten nominiert, der in seinem Heimatland meine Reformideen als Reformbotschafter vermitteln konnte.

Hat Ihnen dabei Ihre Erscheinung als Typ mit starken Tiroler Wurzeln geholfen?

Natürlich ist es hilfreich, wenn man sich nicht wie ein Schilfrohr im Wind verbiegt, sondern in sich eine gewisse Ruhe und ein starkes Selbstbewusstsein trägt. Die Leute lieben es überhaupt nicht, wenn jemand unsicher wirkt.

Hat es für Sie als EU-Kommissar besondere Erfolgserlebnisse gegeben?

Da muss man wohl die große Landwirtschaftsreform im Jahr 2003 nennen. Nachdem diese erfolgreich war, habe ich sogar mehrere Einladungen in die USA bekommen mit der Bitte, dort zu erklären, wie man eine solche Reform macht. Sie haben offen zugegeben, dass sie da Schwierigkeiten haben. Mein Motto war: Angriff ist die beste Verteidigung. Das haben die Bauern am Anfang nicht gerne gehört, weil die wahnsinnig gut im Verteidigen sind. Mit der Zeit haben sie mir jedoch mehrheitlich recht gegeben.

In Spitzenpositionen ist man Druck und Belastungen ausgesetzt- Schlafmangel, endlose Sitzungen. Wie kann man das auf Dauer durchhalten?

Meine längste Verhandlung hat 42 Stunden gedauert mit einer Pause von einer Stunde.  Das zehrt natürlich an der Substanz. Durchhalten kann man das nur mit viel Disziplin. Man muss diszipliniert sein in jeder Hinsicht, muss sogar aufpassen, was man isst und trinkt.

Wie geht man damit um, dass das Feedback den Funktionsträger nur in sehr gefilterter Form erreicht?

Das beste Korrektiv, das man haben kann, ist ein gutes Kabinett. Deshalb war ich immer sehr sorgfältig bei der Auswahl meiner engsten MitarbeiterInnen. Ja-Sager haben mich überhaupt nicht interessiert. Ich habe immer Wert darauf gelegt, Leute um mich zu haben, die unabhängig sind und selbständig denken können. Deshalb war ich auch der erste Kommissar, der ein wirklich internationales Kabinett gehabt hat. Präsident Romano Prodi hat meine Kabinettstruktur dann sogar zur Regel für Alle gemacht.

Als Resümee: Wie kann man Mensch bleiben und doch Erfolg haben in einer Spitzenposition?

Der Erfolg hängt am eigenen Vermögen und an der Bereitschaft, auch Macht auszuüben. Mensch bleibt man, indem man Korrektive akzeptiert und nie vergisst, dass es auch jenseits der Politik ein Leben gibt.

Danke für das Gespräch.