Dr. Christof Zernatto


zernattoChristof Zernatto war Landeshauptmann von Kärnten. Als Vorsitzender der drittstärksten Partei ist er in einer besonderen Phase in Kärnten fast 10 Jahre an der Spitze des Landes gestanden. Ein erfrischender Rückblick.

„Vom Herrgott positives Naturell mit auf die Reise gegeben“

Sie waren von 1991 bis 1999 Landeshauptmann von Kärnten. Wie gelingt der Weg in die erste Reihe der Politik?

Man muss in erster Linie ein politischer Mensch sein. Ich komme aus einer Familie, die immer politisch interessiert war. Die Politik liegt bei uns also im Blut. Aber es sind natürlich wie in anderen Lebensbereichen auch die Zufälle, die eine wichtige Rolle spielen. Bei mir war es der Zufall, dass mich die ÖVP in Treffen 1985 gefragt hat, ob ich auf ihrer Liste für den Gemeinderat kandidieren will. Weil die Wahl für die Partei sehr schlecht ausgegangen ist, habe ich sie übernommen und bin gleichzeitig in den Gemeinderat eingezogen.

Eine Kehrseite der Politik ist wohl die Tatsache, dass man wenig oder gar kein Feedback erhält …

Ich habe versucht, immer ziemlich erdverbunden zu bleiben. Ich komme aus einem Umfeld, wo es keinen Grund dafür gab, in irgendeiner Weise abzuheben. Ich habe allerdings immer eine Funktion gehabt, die wichtig war, in der ich entscheiden habe können.

Sie haben nicht die Politik gebraucht, um eine Machtposition zu haben. Eine solche hätten Sie ja auch in der Wirtschaft haben können.

Für mich war es immer entscheidend, Bodenhaftung zu bewahren. Es gehört zum politischen Job dazu, dass man rund um sich einen Haufen Schmeichler und Menschen hat, die nicht ganz ehrlich bei der Bewertung der jeweiligen Performance sind. Aber ich sage mit einem Schuss Ironie dazu: Das ist bisweilen nicht unangenehm, weil man das hin und wieder braucht.

Das Feedback in der Wirtschaft ist also nüchterner?

Das ist jedenfalls nüchterner. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass die durchschnittliche Verweildauer eines CEO in einem börsennotierten Unternehmen irgendwo zwischen dreieinhalb und fünf Jahren liegt. Von den Medien wirst du als Politiker zu einem Zeitpunkt um deine Meinung gefragt, wo man in der Wirtschaft seriöserweise noch gar keine Meinung vertreten würde. In der Politik wird von dir eine absolute Antwort am Tag der Problem-Entstehung erwartet. Anfangs habe ich

immer geantwortet: Da muss ich mich erst schlau machen. Ich bin nachgeritten wie eine alte Urschel, wie man in Kärnten zu sagen pflegt. Bis ich dann selbst eine gewisse Sicherheit bekommen und bemerkt habe, dass ich zu 85 Prozent mit meiner Einschätzung ohnehin richtig liege.

Wie hält man zehn Jahre lang eine Spitzenposition in der Politik aus? Wie schafft man es, mit Druck, Belastungen, Schlafmangel und Sieben-Tages-Wochen umzugehen?

Ich habe das Glück, dass mir der Herrgott ein positives Naturell mit auf die Reise gegeben hat. Aber ich kann rückblickend durchaus bestätigen, dass ein Spitzenjob in der Politik eine extreme Belastung darstellt. Man braucht nur einmal meine Fotos vom Beginn meiner Regierungstätigkeit mit jenen an deren Ende zu vergleichen. Eine solche Funktion hinterlässt Spuren. Manche davon sind reversibel, wenn man wieder draußen ist.

Wie kann man die Zeit an der Spitze des Landes analysieren?

Was die Familie in dieser Zeit aushalten muss, ist an der Schmerzgrenze. Und wenn du jedes Bier und jedes Achterle trinkst, das sich im Laufe eines Tages am Wegesrand aufbaut, bist du wahrscheinlich bald Alkoholiker und verlierst die Widerstandskraft. Ich habe etwas getan, was ich ohne Politik nie getan hätte, weil ich nicht der Typ dafür bin. Ich bin täglich sehr früh aufgestanden und um 6 Uhr früh laufen gegangen mit einem Körper, der dafür überhaupt nicht geeignet ist.

Sie kennen beides: Toppositionen in der Wirtschaft und in der Politik. Wo sind die Gemeinsamkeiten, wo liegen die Unterschiede?

Es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied: Während die Politik auf demokratischen Strukturen basiert und jede Entscheidung mehrere demokratische Prozesse erfordert, schaut das in der Wirtschaft ganz anders aus: Die Wirtschaft ist nach wie vor ein hierarchisches Gebilde. Dort wird von einem Chef erwartet, dass er nach einer Diskussion endgültige Entscheidungen trifft. Nachher wird abgerechnet, ob die Entscheidung richtig war. Das ist auch der Grund dafür, dass viele in der Wirtschaft erfolgreiche tätig Menschen die Politik nicht verstehen, nicht verstehen können.

Politikerkarrieren sind heute längst nicht mehr auf ein ganzes Berufsleben ausgerichtet. Wie gelingt ein guter Übergang? Ist eine Laufbahn außerhalb der Politik überhaupt noch möglich, ohne Schaden zu nehmen?

Der Übergang aus einer politischen Funktion in eine privatwirtschaftliche wird dann leicht gelingen, wenn man auch ein Leben vor der Politik gehabt hat. Ich kann jeden nur davor warnen, der sich vor seinem 18.Lebensjahr dazu entschließt, Politiker zu werden. In Österreich gibt es für Politiker, die in ihrem ganzen Leben nur in der Politik waren, keine wirkliche Option mehr nach der politischen Karriere. Das ist auch der Grund dafür, dass bei uns der Anteil der Politiker aus dem öffentlichen Bereich sehr hoch ist.  Dort hat man kein berufliches Risiko.

Sie haben nie ein Sicherheitsnetz gebraucht?

Nein, mir hat die Politik keine Unterstützung geboten nach dem Ausscheiden. Die ÖVP spielt ja in Kärnten seit jeher eine bescheidene Rolle. Da hat sich kein Mensch darum gekümmert, was aus dem Zernatto wird. Ich war damals gerade 50 Jahre alt und musste mir die bange Frage stellen: Was machst du jetzt?  Die Chance, nach der Politik wieder auf die Füße zu kommen, hast du nur, wenn du wieder mit der selben Begeisterung und mit derselben Abenteuerlust von vorne anfängst.

Danke für das Gespräch.