Mag. Christian Kern

13227609_619823701508746_1057420244749760704_oVor wenigen Monaten habe ich mit Mag. Christian Kern, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der ÖBB, ein Interview über seinen Umgang mit Einfluss und Wirkung in einer Spitzenposition geführt. Heute ist er Bundeskanzler von Österreich, seit wenigen Tagen auch Vorsitzender der SPÖ und er hat in seiner neuen Funktion einen sensationellen Start hingelegt.

Vom Zehn-Meter-Turm ins kalte Wasser

Der Einstieg in die erste Reihe von Politik und Wirtschaft: Wie gelingt der beziehungsweise wie ist er Ihnen gelungen?

Einen speziellen Kurs oder so gibt es nicht. Vielmehr ist es eine Summe an Erfahrungen, die dich eines Tages in eine Situation bringen, in der du dich dann entscheiden musst. Vergleichbar mit dem Zehn-Meter-Turm im Schwimmbad: Du schaust ins Becken hinunter und musst entscheiden, ob du springst oder nicht.

Was sind für Sie in einer derartigen Zehn-Meter-Turm-Situation die im wahrsten Wortsinn springenden Punkte?

Zuerst muss natürlich eine Risikoanalyse stattfinden, man schaut also, ob überhaupt genug Wasser im Becken ist. Ich halte es für wichtig, auch mit einem bestimmten Maß an Demut und Respekt an die Aufgabe heranzugehen. Aber am Ende des Tages geht es dann um die Fragen: Kann ich in der Situation etwas erreichen? Kann ich etwas bewegen? Kann ich meine Zukunftsvorstellungen umsetzen? Nur, wenn man das mit Ja beantworten kann, sollte man auch springen.

Was zeichnet einen solchen – ich nenne es jetzt einmal Zehn-Meter-Mann – aus?

Man braucht ein klares Zukunftsbild, das nicht nur die Richtung vorgibt, sondern auch einen gewissen Interessenausgleich herbeiführt. Denn wenn die Menschen deinen Weg nicht mitgehen, dann wirst du am Ende gar nichts erreichen.

Sie stehen ja ständig im Scheinwerferlicht der Medien. Worauf kommt es da an?

Man darf sich vom permanenten Rauschen im Blätter-, Rundfunk- und Social-Media-Wald nicht zu sehr ablenken lassen und muss konsequent sein eigentliches Ziel im Auge behalten. Eine gute Schlagzeile ist erfreulich und wichtig, sollte aber nicht Selbstzweck sein.

Wie gehen Sie generell mit Druck und Belastungen um?

Ich habe eine gewisse Stressresistenz entwickelt und rege mich zum Beispiel nur ungern auf. Da muss schon etwas wirklich Gewichtiges passieren. Nach Möglichkeit versuche ich Druck in positive Motivation umzumünzen.

Ehrliches Feedback zu bekommen, ist in Spitzenpositionen nicht immer leicht. Wie bewahren Sie Ihre Reflexionsfähigkeit?

Ich versuche mich mit möglichst vielen Menschen persönlich auszutauschen und nehme Kritik sehr ernst. Ein bisschen kommt mir da auch mein Naturell entgegen, Erfolge nicht zu lange zu feiern sondern gleich wieder zu fragen: Wie können wir besser werden?

Wirtschaft und Politik: Sie kennen beides. Zwei verschiedene Welten?

Die Wirtschaft wird von Zahlen dominiert, die unterm Strich auch stimmen müssen. Als Politiker muss man dagegen zuallererst die Anliegen und Nöte der Menschen verstehen, um erfolgreich zu sein.

Glaubwürdigkeit ist aber in beiden Welten ein wichtiges Thema?

Ja, denn wenn Sie einen Kurs vorgeben, dann müssen Sie den auch authentisch leben, um Ihre Gefolgschaft zu mobilisieren. Als Nummer Eins musst du mit jeder Faser und zu jeder Stunde am Gesamtziel arbeiten. Das ist für mich eine Frage der Glaubwürdigkeit und Loyalität. Und ich erwarte mir das auch von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Denn Loyalität ist keine Einbahnstraße.

Apropos Straße: Wenn Sie Ihren bisherigen Karriereweg Revue passieren lassen, gibt es da den einen oder anderen Punkt, vom dem Sie sagen würden, Sie hätten eine dauerhafte Spur hinterlassen?

Das ist ein sehr großer Gedanke. Ich glaube, am Ende des Tages geht es nicht darum, Spuren zu hinterlassen, sondern die Aufgaben, die man hatte, möglichst ordentlich und konsequent abgearbeitet zu haben. Und wenn die Leute dann sagen, dass man es ordentlich gemacht und sich bemüht hat, dann ist das schon ziemlich viel.

Welche Ratschläge geben Sie künftigen Verantwortungsträgern mit auf den Weg?

Drei Punkte: In seiner legendären Stanford-Rede hat Steve Jobs gesagt: You’ve got to find what you love. Das ist Punkt eins. Ohne Leidenschaft und Begeisterung für das, was du tust, kannst du nicht erfolgreich sein. Punkt zwei: Erfolg ist stets mit harter und konsequenter Arbeit verbunden. Und drittens: Such dir deine Chefs und die Leute, mit denen du zusammenarbeitest, sehr bewusst aus. Denn die werden dich und deinen weiteren Weg im günstigsten Fall positiv prägen.

Danke für das Gespräch!