Margit Schmidt


Margit Schmidt war über Jahrzehnte engste Mitarbeiterin des legendären österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky. Sie hat viel darüber zu sagen, wie Erfolg an der Spitze gelingt und dass das Ganze ziemlich viel mit Kommunikation zu tun hat.

„Kreisky war ein Politiker zum Anfassen“

Sie haben Bruno Kreisky von 1965 bis zu seinem Tod begleitet. Wie sehr hat diese Persönlichkeit ihr Leben beeinflusst?

Kreisky hat nicht unterschieden zwischen Arbeits- und Freizeit. Meine Kollegen und ich haben daher viel Zeit in den Abendstunden und auch Wochenenden in der Armbrustergasse mit Arbeit verbracht. Wir haben zum Beispiel an Parlaments- und Parteitagsreden gearbeitet.

Wie ist Kreiskys damaliger Erfolg zu erklären?

Ich glaube es liegt daran, dass er grundsätzlich Menschen mochte und an deren Schicksal interessiert war. Bei Dienstreisen mit der Bahn sind immer Zugbegleiter zu Kreisky gekommen, um mit ihm über ihre Probleme zu sprechen. Er hat die Leute beim nächsten Mal wiedererkannt und sich auch ihre Geschichten gemerkt.

Ich habe von Leuten gehört, die Kreisky nach acht Jahren wiedererkannt hat. Gibt es eine Erklärung für dieses phänomenale Gedächtnis? 

Das ist ein Talent. Ich glaube nicht, dass man so etwas lernen kann. Kreiskys Telefonnummer ist ja auch immer im Telefonbuch gestanden. Jeder konnte ihn anrufen. Und er hat die Gespräche angenommen, sich nicht verleugnen lassen und nicht belästigt gefühlt. Teil seines Erfolges war es wohl, dass er auch Einzelschicksale ernst genommen hat. Ich erzähle ihnen ein Bespiel: Mitten in der Arbeit für eine Parteitagsrede hat eine Frau weinend, spät in den Abendstunden, während eines schweren Gewitters, angerufen und geklagt, dass es in ihre Wohnung hereinregnet. Da hat Kreisky den Feuerwehrchef angerufen und dieser hat veranlasst, der Frau zu helfen.

Was war der Grund dafür, dass Kreisky seine Machtpositionen – zuerst Außenminister, dann Bundeskanzler – so lange halten konnte?

Es kommt auf die Überzeugungskraft an. Auch in der Politik kann man niemandem seine Meinung aufzwingen. Man muss sich auseinandersetzen und diskutieren. Kreisky hat bei allen, auch bei internationalen diplomatischen Verhandlungen an die Macht des Wortes und an die Dialogbereitschaft geglaubt. So war es für ihn kein Problem, wenn jemand widersprochen hat. Denn schlussendlich galt es, Kompromisse zu finden.

Man hat Bruno Kreisky ja oft nachgesagt, keine besondere Menschenkenntnis zu haben.

Da möchte ich widersprechen. Denn er hat die Menschen ohne Misstrauen auf sich zukommen lassen. Wenn er aber enttäuscht wurde, hat er seine Haltung geändert. Deshalb hat man ihm wohl nachgesagt, dass er diesen Weg ziemlich weit zugelassen hat.

Ihre Arbeit für Kreisky war sehr intensiv?

Einmal haben eine Kollegin und ich, vor einer wichtigen Parlamentsrede einen ganzen Tag, die Nacht und den nächsten Tag bis drei nachmittags durchgearbeitet. Sogar der Jumbo Jet der Swiss Air, auf dem Weg nach New York, war einer meiner Arbeitsplätze. Da habe ich Korrekturen an der Kreisky Rede vor den Vereinten Nationen vorgenommen.

Kreisky galt als Medienkanzler wie keiner vor ihm. Was macht seine besondere Wirkung im Scheinwerferlicht der Medien aus?

Er hat den Beruf der Journalisten verstanden und wusste was sie brauchen. Er selbst hat in der Emigration journalistisch gearbeitet und den finnischen Winterkrieg kommentiert. Man könnte ihn als Kriegsreporter bezeichnen. Wahrscheinlich wäre er gerne Chefredakteur der Arbeiterzeitung gewesen. Seine Beiträge hat er unter einem Pseudonym geschrieben, um seine Eltern, die noch in Wien waren, zu schützen. Die meisten Journalisten haben sich daran gehalten, wenn er Informationen „Off the record“ weitergegeben hat.

Wo sehen Sie den Unterschied zwischen der Wirtschaft und der Politik?

Wirtschaft und Politik haben sich auseinandergelebt. Das klassische Unternehmertum gibt es ja heute nicht mehr. In der globalisierten Welt hat sich das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik stark verändert. Es gibt z. B. keine verstaatlichte Industrie und das klassische Unternehmertum, wo direkte Einflussnahme auf die Erhaltung der Arbeitsplätze möglich war.

Wie kommt ein Bundeskanzler zu einem halbwegs realistischen Gespür dafür, was da so im Land abläuft, wenn er von Jasagern umgeben ist?

Kreisky hat den direkten Kontakt mit der Bevölkerung gepflegt. Er war ein Politiker zum Anfassen, hat im Kontakt mit den Bürgern mitbekommen, was die sich denken. Die Leute haben sich getraut, dem Bundeskanzler die Meinung zu sagen.

Und das Gefühl für Stimmungen hat er sich bis zum Schluss bewahren können?

Ja, auf jeden Fall, denn das hat ihn sehr interessiert. Er hatte Kontakt zu allen Bevölkerungsschichten und sich nicht abschirmen lassen. Das haben wir gar nicht versucht, er hätte es auch gar nicht zugelassen. Erinnern Sie sich doch an Klagenfurt. Da hat man ihm bei der Ortstafel-Diskussion geraten, durch die Hintertüre zu gehen. Kreiskys Meinung dazu war: „Ein österreichischer Bundeskanzler geht nicht durch die Hintertüre!“

Gab es in Ihrer Zeit mit dem Bundeskanzler einen Moment, in dem Sie das Gefühl hatten, dass das der entscheidende Durchbruch in seiner Karriere war?

So ein Moment war der Parteitag im Jahr 1967, in dem Bruno Kreisky an die Spitze der Bundespartei gewählt wurde. Man hat gemerkt, dass er die Gesellschaft verändern wollte, die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Das ist ihm auch gelungen, das war sein Erfolg.

Was waren die schönsten Erlebnisse, also die Highlights in Ihrer Arbeit mit Kreisky?

Das war vor allem die Wahl im Jahre 1970. Das vergisst man nicht. Da standen in der Parteizentrale in der Löwelstraße die Fenster offen und ein Fackelzug näherte sich dem Gebäude. Kreisky stand am Fenster und sah in die Menge mit den brennenden Fackeln. Davon gibt es ein aussagekräftiges Foto, welches die Stimmung wiedergibt. Es gab aber auch andere schöne Momente, wie z. B. Dienstreisen zu Staatsbesuchen in verschiedene Länder, die mir Gelegenheit gaben, Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen kennen zu lernen.

Danke für das Gespräch.