Dr. Franz Vranitzky
Franz Vranitzky war zehn Jahre lang Bundeskanzler. Obwohl inzwischen mehr als 20 Jahre vergangen sind, gilt er bis heute als der letzte österreichischer Bundeskanzler mit internationaler Reputation. Ein Resümee zum 80. Geburtstag.
„Eine Frage der Glaubwürdigkeit“
Wie begann die „Ära Vranitzky“?
Nachdem der damalige Bundeskanzler Fred Sinowatz im Jahr 1984 an mich heran getreten war, in das Finanzministerium einzusteigen, habe ich Bedenkzeit erbeten. Hauptsächlich aus Verantwortung gegenüber meinem damaligen Arbeitgeber, der Länderbank. Inmitten meiner Nachdenkphase habe ich dann eines Morgens die Zeitung aufgeschlagen und gelesen, dass meine Ernennung zum Finanzminister fix ist. Dadurch wurde mir die Entscheidung eigentlich weggenommen.
Und zwei Jahre später kam der Wahlkampf zur Bundespräsidentenwahl…
Bundeskanzler Sinowatz und andere haben sich gegen Kurt Waldheim sehr exponiert. Und als Waldheim dann die Wahl gewann, hat mir der Bundeskanzler in einem sehr freundschaftlichen und vertraulichen Gespräch die Nachfolge angeboten.
Einstieg in die Politik als Finanzminister, zwei Jahre später Bundeskanzler. Viele politische Quereinsteiger scheitern dagegen. Wie lautete dein Erfolgsgeheimnis?
Die damalige politische und wirtschaftliche Situation hat einhundert Prozent an Einsatz gefordert, und ich war bereit diesen Einsatz zu bringen. Als erfolgreicher Sportler wusste ich: Nur was man mit Haut und Haaren macht, macht man auch gut.
Nachgefolgt bist du Sinowatz auch als Parteivorsitzender…
Ja, und nicht alle in der SPÖ haben meinen Werdegang als selbstverständlich erachtet und mir wurde mitunter eine gewisse Ideologieferne vorgeworfen. Dabei wusste ich als Sohn einer Wiener Arbeiterfamilie, was es bedeutet, sehr bescheiden zu leben – ohne meine Kindheit dramatisieren zu wollen. Schon früh wurde ich außerdem durch die streng antifaschistische Haltung meiner Eltern geprägt. Und mein Studium habe ich mir dann teilweise als Bau- und Fabriksarbeiter oder Pakerlschupfer bei der Post finanziert.
Dein Vorvorgänger als Parteichef und Bundeskanzler war der legendäre Bruno Kreisky, in dessen ehemaliger Wohnung, dem heutigen Bruno Kreisky Forum, wir hier sitzen. Was war deine Motivation dieses Forum zu gründen?
Ich habe die Idee verwirklicht, aus diesem Haus ein internationales Dialogzentrum zu machen, ganz im Sinne des Charakters und des Schwerpunktdenkens Bruno Kreiskys als Außen- und Weltpolitiker. Es hat sich in den 20 Jahren seines Bestehens einen sehr guten Ruf erarbeitet und ist mittlerweile ein fester Bestandteil für alle Bürger, die an internationalen Entwicklungen interessiert sind.
Wie war dein persönliches Verhältnis zu Bruno Kreisky?
Nicht immer friktionsfrei. Konkret war Kreisky gar nicht einverstanden mit einem Außenminister Alois Mock, den ich in den Verhandlungen 1986 bis 1987 aus Koalitionsgründen akzeptierte. Er war mir deshalb sehr böse. Doch nach einiger Zeit hat sich unser Verhältnis wieder in ein sehr positives verwandelt. Ich bin oft in diesem Haus zu Gast gewesen – vor allem in den letzten Monaten seines Lebens. Wenn er mir Ratschläge gegeben hat, und das war oft der Fall, dann immer mit der Anmerkung, dass ich mich nicht daran halten müsse. Nachsatz: Aber schlecht wäre es nicht.
Bruno Kreisky galt ja als der erste „Medienkanzler“. Dein Zugang zu Fernsehen, Presse & Co.?
Man braucht die Medien, um mit den Menschen zu kommunizieren. Ich war und bin deshalb immer bemüht, meine Standpunkte nach bestem Wissen und Gewissen zu vermitteln. Jede Art von Mauschelei lehne ich aus Prinzip ab. Das ist für mich eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Letztere scheint zunehmend zum Opfer von Vereinfachung zu werden. Gehört die Zukunft den Populisten?
Ich halte es hier mit Willy Brandt, zu dessen politischem Vermächtnis die Kunst des Sowohl-als-auch gehört. Leider jedoch wird ein Entweder-oder zunehmend von den Medien eingefordert und die differenzierte Vermittlung eines komplexen Sachverhaltes als Politsprech negativ beurteilt. Nur weil eine Antwort einfach klingt, heißt das aber noch lange nicht, dass sie auch richtig ist. Oft das Gegenteil.
Als Politiker ist man großen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Wie hast du das ausgehalten?
Als Basketballer habe ich eine gute Grundkondition mitgebracht. Die hat mir über so manche Marathonsitzung geholfen. Später habe ich mich dann mit Ausgleichssport von Wandern bis Schwimmen fit gehalten. Außerdem war ich immer mit Begeisterung im Land und bei den Menschen unterwegs, was vieles erleichtert hat.
Wie hast du es geschafft, den vielzitierten „Draht zum Volk“, die Bodenhaftung nicht zu verlieren?
Man darf sich nicht im Bundeskanzleramt einsperren. Selbst sehr gute Mitarbeiter ersetzen nicht das Gespräch mit dem Bürger. Also war ich so oft wie möglich unterwegs und habe den direkten Kontakt gesucht.
Politik und Wirtschaft: Fehlt es dem Bundeskanzler im Gegensatz zu einem Vorstandsvorsitzenden an Entscheidungsmacht?
Man muss die Mahlzeiten so einnehmen, wie sie angerichtet werden, und wir haben eben das Prinzip der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers nicht. Daher muss die Meinungsbildung auf andere Weise zum Abschluss kommen. Vor allem in einer Koalition kann das zu einer wahren Sisyphusarbeit werden.
Wenigstens eine Sache hat jeder Politiker in der eigenen Hand: Souverän die Umstände zu bestimmen, wie und wann er geht. Im April 1997 bist du auf einem Parteitag in Linz unter lang anhaltenden Standing Ovations abgetreten. Weshalb fehlt österreichischen Politikern meist das Talent zu einem solchen Abgang?
Ich habe mir vorgenommen, zehn Jahre im Amt zu bleiben, und daran habe ich mich dann in etwa auch gehalten. Und diese Vorgangsweise war wesentlich angenehmer, als abgewählt zu werden oder wegen einer skandalösen Entwicklung abtreten zu müssen. Wenn ich das sehr persönlich anmerken darf.
Ein Wort zu deinem Nachfolger…
Ich habe Viktor Klima mit großer Überzeugung für meine Nachfolge als Bundeskanzler und Parteivorsitzender vorgeschlagen. Dementsprechend gefreut habe ich mich auch über die gelungene Übergabe. Leider hatte Klima dann das zeitgeschichtliche Pech, dass die ÖVP unter Wolfgang Schüssel in Richtung Haider gegangen ist und einen Weg eingeschlagen hat, über den viele heute noch den Kopf schütteln.
Was kann man jungen Menschen heutzutage mit auf den Weg geben?
Das ist wahrscheinlich eine der komplexesten Fragen der Politik überhaupt. Von zentraler Bedeutung sind zweifellos eine gute Ausbildung und eine gewisse Sicherheit, was die Zukunft betrifft. Auch sollte die Politik die Sprache der Jugend sprechen.
Ich darf dich um ein Resümee bitten…
Abschließend möchte ich meinen Dank für dieses Gespräch verknüpfen mit der Hoffnung, dass sich die sozialdemokratische Bewegung bewusst bleibt, dass gesellschaftliche Zusammenhänge nicht an unseren Staatsgrenzen enden. Ich sage dies vor dem Hintergrund der aktuellen Migrationsbewegungen, die ja ganz katastrophale Ursachen haben. Es ist schließlich nicht so, dass sich da ein paar aufmachen und einen Ausflug nach Mitteleuropa machen wollen, sondern die kommen, weil in ihren Ländern Mord und Totschlag auf der Tagesordnung stehen und sie um ihr Leben laufen. Daher habe ich schon die Hoffnung, dass wir unserem Gedankengut der Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts treu bleiben und die Internationale nicht nur singen, sondern auch leben.
Danke für das Gespräch!